1. Einleitung
Der moderne Mensch wähnt sich für gewöhnlich vor den
Launen der Natur
ziemlich sicher. Kaum ein Städter interessiert sich noch für
die
Erntebedingungen der Landwirtschaft in seiner Region, kaum einer hat
Angst vor dem nächsten harten Winter. Unsere Nahrungsmittel kommen
aus
aller Welt, im Winter wärmt uns die Zentralheizung, und
Wasserknappheit
aufgrund ausbleibender Niederschläge oder wegen Versalzung der
Wasserspeicher nach einer Sturmflut sind für den
durchschnittlichen
Mitteleuropäer exotische Nachrichten aus einer anderen Welt.
Moderne
Technik und Infrastruktur hat uns, so scheint es, von der Natur
emanzipiert.
Nur manchmal ruft sich die Natur auf schmerzliche Art in Erinnerung,
wie während des Elbehochwassers 2002 oder wie im November 2005,
als ein
Schneesturm im Münsterland reihenweise die Hochspannungsmasten
umlegte
und mehrere zehntausend Menschen bei Temperaturen unter null Grad
tagelang ohne Strom ausharren ließ. Den Nachdenklicheren unter
uns
dämmert bei solchen Gelegenheiten, dass es mit der Freiheit von
der
Natur vielleicht doch nicht so weit her ist; dass die Natur – um
einen
Ausspruch des US-Klimatologen Wallace S. Broeker etwas abgewandelt zu
gebrauchen – kein zahmes Lamm, sondern ein wildes Biest ist.
Im Münsterland waren seinerzeit nur einige wenige Gemeinden
betroffen,
die ohne Weiteres aus der näheren Umgebung mit dem Nötigsten
beliefert
werden konnten. Aber wie hätte es wohl ausgesehen, wenn der
Stromausfall großflächiger gewesen wäre, wenn nicht ein
paar Tausend,
sondern mehrere Millionen Menschen zu versorgen gewesen wären?
Ganz abwegig sind derlei Vorstellungen bei der zentralisierten Struktur
unserer Stromversorgung nicht. Diese mag den Energiekonzernen zwar
optimale Gewinne garantieren, doch den Bürgern bietet sie, wie wir
gesehen haben, nur bedingt Versorgungssicherheit. Davon haben in den
vergangenen Jahren wiederholt Netzzusammenbrüche in anderen
westeuropäischen Ländern und in den USA Zeugnis abgelegt,
ganz zu
schweigen von dem Blackout, der am 4. November 2006 in weiten Teilen
Westeuropas die Lichter ausgehen ließ. Techniker von E.on und RWE
hatten – offensichtlich unter Zeitdruck arbeitend – die
Konsequenzen
nicht richtig kalkuliert, als sie eine Hochspannungsleitung über
der
Ems wegen einer Schiffsdurchfahrt abschalteten. In manchen Regionen
dauerte es Stunden, bis das Netz wieder hochfahren konnte.
Doch Stromnetze sind eine Sache, die sich – wenn denn der
technische
Sachverstand walten kann und nicht von betriebswirtschaftlichen
Überlegungen kastriert wird – noch relativ leicht in den
Griff bekommen
lässt – auch unter extremeren Umweltbedingungen. Die
Stichwörter heißen
Dezentralisierung, bessere Kontrolle und Koordination sowie mancherorts
auch Erdkabel statt Hochspannungsmasten. Wesentlich schwieriger sind da
schon die Bedingungen für unsere Versorgung mit Lebensmitteln zu
beherrschen. Ackerbau setzt halbwegs stabile Klimabedingungen voraus,
eben so, wie sie seit dem Ende der letzten Eiszeit vor rund 11.000
Jahren vorgeherrscht haben, gerade jener Zeit, in der sich unsere
Zivilisation entwickelt hat.
Doch klimatische Stabilität ist weniger selbstverständlich,
als man
meinen mag. In den letzten 25 Jahren haben die Geowissenschaften nach
und nach die Klimavergangenheit der letzten Jahrhunderttausende
entschlüsselt. Heraus kam unter anderem, dass sich sowohl die
Eiszeiten, als auch frühere Warmzeiten durch größere
Variabilität
auszeichneten, durch heftige Temperaturschwankungen, die das globale
Klima jeweils innerhalb weniger Jahrzehnte drastisch änderten.
Unsere Vorfahren lebten zu jenen Zeiten in kleinen Gruppen von
Jägern
und Sammlern, die gegebenenfalls einfach weiterzogen, dem Jagdwild
folgend. Doch sechs Milliarden Menschen können nicht einfach den
sich
verschiebenden Klimazonen hinterher wandern. Ackerbauern sind weniger
flexibel und ihre Erträge reagieren empfindlich auf allerlei
klimatischen Unbill. Dürren, Starkregen, später Frost,
Überschwemmungen
und Pflanzenschädlinge, die sich aufgrund zu milder Winter
explosionsartig ausbreiten, können die Ernten dezimieren. Bis weit
ins
19. Jahrhundert kam es in Europa immer wieder zur regionalen, manchmal
landesweiten Hungersnöten, denen Hunderttausende Menschen zum
Opfer
fielen.
Heute erscheint derlei wie Nachrichten aus einer fernen Vergangenheit.
Wir halten es längst für selbstverständlich, dass unsere
Nahrung
ohnehin von den Kanaren, aus Argentinien oder Neuseeland kommen kann,
egal ob die Bauern am Rhein oder in Brandenburg eine gute oder
schlechte Ernte hatten. Das hat Einiges mit den heutigen
Transportmöglichkeiten zu tun, aber vor allem mit der Kaufkraft
der
Industriestaaten. Wenn in Europa, den USA oder in Australien die Ernte
schlecht ausfällt, dann decken sich diese Länder auf dem
Weltmarkt ein.
Das funktioniert, solange es im globalen Maßstab
Überschüsse gibt – was
in den 1990ern der Fall war, aber in den letzten Jahren immer weniger
–
und solange diese Kaufkraft auf einen vergleichsweise kleinen Teil der
Weltbevölkerung begrenzt ist.
Doch die Zeiten ändern sich. Heute könnte sich zum Beispiel
die
chinesische Regierung nicht mehr wie in den Jahren des
»Großen Sprungs
nach vorn« 1959/60 leisten, Millionen Menschen verhungern zu
lassen.
(Siehe hierzu zum Beispiel Felix Wemheuers Anfang des Jahrtausends
geführte Interviews mit chinesischen Intellektuellen, die diese
Zeit in
Landkommunen verbrachten.) Im September 2006 berichtete Geoffrey Lean
in der britischen Zeitung Independent, dass die weltweiten
Nahrungsmittelvorräte seit Beginn des Jahrtausends bedenklich
zurückgegangen sind. 1999 hatten sie noch gereicht, um die
Weltbevölkerung 116 Tage zu ernähren, im Sommer 2006 betrug
die
Reichweite nur noch 57 Tage.
Was würde in einer solchen Lage geschehen, wenn es – wie bei
einem
weiteren Anstieg der Treibhausgasemissionen zunehmend wahrscheinlicher
– in der Kornkammer der USA, dem Mittleren Westen, zu einer
schweren
Dürre kommt und gleichzeitig große Ernteausfälle in
China zu
verzeichnen sind, weil am Jangtse heftiger Regen und schwere
Überschwemmungen und im Norden ausbleibende Niederschläge die
Felder
verheeren? Mit Sicherheit würden rund um den Globus die
Nahrungsmittelpreise explodieren. Selbst in den Industriestaaten
würden
die ärmeren Teile der Bevölkerung den Gürtel enger
schnallen müssen,
doch die Armen in den Entwicklungsländern würden mit voller
Wucht
getroffen. Die Folgen wären verheerende Hungerkatastrophen und
sicherlich auch Krieg und Bürgerkrieg im Kampf um die Verteilung
der
knappen Lebensmittel.
Ob es so weit kommen wird, hängt von den strategischen
Entscheidungen
ab, die in den nächsten 20 Jahren getroffen werden. Die
Treibhausgasemissionen, die uns diesen mehr als ungemütlichen
Klimawandel bescheren könnten, sind eng mit der Frage
verknüpft,
wieviel Energie wir verbrauchen, woher wir diese nehmen und wie wir den
Personen- und Güterverkehr organisieren. In diesen Bereichen
stehen in
den nächsten Jahren gewaltige Investitionen an. In Deutschland
muss ein
erheblicher Teil des Kraftwerkparks erneuert werden, ebenso in vielen
anderen westlichen Industriestaaten. Weltweit wird in vielen
Schwellenländern die Industrialisierung und damit auch der
Energiebedarf einen gewaltigen Sprung machen. Die Internationale
Energie Agentur (IEA) schätzte im November 2006 in ihrem World
Energy
Outlook, dass bis 2030 rund 15 Billionen Euro, ziemlich genau die
Hälfte der derzeitigen globalen Jahreswirtschaftsleistung, in den
Energiesektor investiert werden müssen.
Bei Exxon, Shell, E.on oder RWE, bei Petrobras (Brasilien) oder Sinopec
(China) hat man keinen Zweifel daran, wo diese gewaltigen Kapitalien
investiert werden sollen: in neue Kohlekraftwerke,
Ölförderanlagen,
Pipelines, Tanker und ein paar Atomkraftwerke. Die fossile Basis der
Weltwirtschaft soll möglichst lange erhalten bleiben. Das sichert
den
beteiligten Konzernen und ihren Aktionären die Rendite und
verspricht
für die kommenden Jahrzehnte, in denen sich die Lagerstätten
langsam
erschöpfen und die Knappheit zunimmt, gigantische Profite, gegen
die
sich die geraubten Schätze des Kolonialzeitalters wie Glasperlen
ausmachen werden.
Uns aber würde die Verlängerung der Abhängigkeit von den
zur Neige
gehenden fossilen Energieträgern nicht nur neue Kriege um die
Kontrolle
der Erdölfelder bringen, sondern auch einen Klimawandel, der weit
über
das hinaus gehen wird, was die Erde in der letzten Million Jahre
gesehen hat. Ob es so weit kommt, ist offen. Eine neue Klimadebatte hat
eingesetzt, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern.
Internationale Meinungsumfragen zeigen, dass in so unterschiedlichen
Staaten wie Thailand, Australien, China, den USA oder Argentinien zum
Teil sehr große Bevölkerungsmehrheiten ernsthaft besorgt
sind und
Maßnahmen fordern. Wenn diese Stimmung in den nächsten
Jahren in
politische Bewegungen mündet, die auf die Regierungen
entsprechenden
Druck ausüben, besteht durchaus noch eine Aussicht, dass der
Klimawandel in einem halbwegs moderaten Rahmen bleibt und sich nicht zu
einer globalen Zivilisationskrise auswächst.
Dieses Buch möchte einen Beitrag zu einer derartigen Bewegung
leisten,
indem es argumentative Munition liefert. In den folgenden Kapiteln
werden zunächst die physikalischen Grundlagen des Klimas und des
Treibhausproblems vorgestellt. Sodann wird auf Fragen wie Gerechtigkeit
im globalen Treibhaus eingegangen und die Selbstdarstellung der
Bundesrepublik als internationaler Klimaschutzvorreiter hinterfragt.
Des Weiteren geht es um den notwendigen Umbau der Stromversorgung, um
die verantwortungslosen Kohlepläne der Energiewirtschaft und um
die
Verkehrspolitik. Schließlich kommen einige der Sackgassen der
Klimadiskussion zur Sprache, wie die Atomkraft und der so genannte
Biokraftstoff. Zum Schluss wird ein kleiner Ausblick gewagt.
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